Erinnerung an eine durch Faschisten gestörte Kindheit

27. Januar 2016

Margarete Exner, später verheiratete Michalik, ist 1933 in Engelsberg (tschechisch:Angelska Gora) geboren.

Ihre Eltern waren beide als Arbeiter in einer Weberei beschäftigt. Hier wurden sie mit den harten Arbeitsbedingungen vertraut. Zügig ging es in der politischen Arbeit voran, waren doch ihre Eltern, Otto und Marie, Mitglieder der KPČ. Der Vater erhielt das Vertrauen seiner Genossen. Sie wählten ihn zum Vorsitzenden der KPČ im Bereich Engelsberg. Er leistete mit seinen Mitgliedern eine ruhige, stete politische Arbeit.

Das ging alles geordnet voran, bis die Sudetendeutsche Partei im Oktober 1933 von Konrad Henlein gegründet wurde, der die sogenannte „Henlein-Partei” im Frühjahr 1935 zu der faschistischen Partei in der Tschechoslowakischen Republik etablierte. Damit hatte die NSDAP bei der Okkupation der Sudetengebiete im Oktober 1938 durch die faschistische Wehrmacht in der Henlein-Partei eine feste Stütze.

Mit dieser Okkupation wurde der Ruhe und Ordnung im Sudetengebiet der politischen Arbeit der KPČ ein Ende gesetzt. Die Henlein-Partei machte sich zum Sprachrohr der NSDAP, wurde sie doch in diese Partei aufgenommen.

Die KPČ wurde in ihrer Tätigkeit behindert, gehetzt und verfolgt, was sich auch auf das gesamte Leben der Familie Exner störend auswirkte. Der Vater musste sich in die illegale politische Arbeit begeben, weil die Hetze gegen demokratische Bewegungen soweit ging, dass sogar im September 1938 Aggressionsakte gegen die Tschechoslowakische Republik unternommen wurden.

Als Kind hat das Margarete alles erlebt, was in ihr Ängste auslöste. Dazu kam, dass das Familienleben einen Riss bekam, konnte sich der Vater doch kaum noch um die Familie kümmern. Er musste illegal leben und kämpfen. Die Mutter hatte die ganze Sorge für die Familie allein zu tragen.

Die Henlein-Partei erwies sich als treue Vollstreckerin der faschistischen Linie. Entsprechend ängstlich erlebte Margarete auch die Verfolgung der Juden. Eine Jüdin besaß einen kleinen „Tante-Emma-Laden”, wie man so sagte. Die Bürger wurden aufgefordert, nicht bei ihr zu kaufen. Die junge, hübsche Frau mit langem Haar wurde von den Faschisten an ihrem Haar zerrend fortbewegt. Sie wehrte sich durch Schreie – aber nichts half. Das Kind musste alles miterleben, war entsetzt, weil es das nicht verstand, weinte und lief davon.

Aber auch die eigene Famile wurde belästigt. Ein Faschist beobachtete, dass die Mutter Marie ihren achtjährigen Sohn liebevoll versorgte. Der Faschist: „Frau Exner, ich sage Ihnen, heute gehört Ihr Sohn noch Ihnen. Im nächsten Jahr wird er uns gehören.” Womit er sagen wollte, dass die Faschisten ihren Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen verstärken würden.

Die Bedrängnis der Partei erfolgte immer komplexer. Die Parteiführung beschloss 1938, den Kampf gegen den Faschismus in der Illegalität in England fortzusetzen und ermöglichte dem Vater der Margarete mit sechs weiteren Mitgliedern die Ausreise in dieses Land. Die Mutter blieb mit den Kindern in Engelsberg und durchlitt ein karges und sorgenvolles Leben. Immer bestand die Aufgabe, die Familie wieder zu vereinigen.

Antifaschistische Kräfte in England bereiteten mit emigrierten KPČ-Mitgliedern ein vorläufiges Auffanglager für die zu erwartenden Familienmitglieder vor.

Endlich war es soweit, die Fahrt nach England anzutreten. Mutter und die Kinder traten, wenn auch mit Ängsten, die Reise an. Während der Fahrt gab es strenge Kontrollen durch die Polizei. Selbst ein Kissen musste die Mutter öffnen. Sie antwortete dem Polizisten: „Na, denken Sie, ich habe Gold versteckt?” Aber es musste geschehen.

In England angekommen, war die Familie wieder vereint. Zunächst im Auffanglager untergekommen, wurde sie bald bei einer Familie freundlich aufgenommen. Die Eltern fanden Beschäftigung in Betrieben, während die Kinder in der Schule die englische Sprache erlernten. Sie hatten – so erinnert sich Margarete – zu der englischen Bevölkerung ein gutes Verhältnis. Unter diesen Bedingungen erlebte die Familie in England das Ende des Zweiten Weltkrieges. Große Freude war allenthalben zu vernehmen. Der Bürgermeister hielt eine zukunftsweisende Rede und würdigte den Anteil der Alliierten an der faschistischen Niederlage. Eine große „Friedenstorte” stellte die Stadt zur allgemeinen Verfügung. Mit Begeisterung durften Margarete und ihr Bruder die Torte anschneiden.

Die Familie kehrte nun 1945 nach Engelsberg zurück und dachte über ihr weiteres Schicksal nach, nunmehr unter neuen politischen Verhältnissen. Die Mitglieder der KPČ organisierten einen antifaschistischen Transport in die damalige Ostzone in Deutschland, um hier den Neuaufbau zu unterstützen.

Die Familie kam zunächst nach Adorf (Vogtland), dann nach Riesa und letztlich nach Schwerin, wo sie Wohnung und Arbeit fand und sich aktiv am antifaschistisch-demokratischen Aufbau beteiligte. Margarete hat den Terror der Faschisten nie vergessen. Sie wurde Mitglied der OdF, wie auch ihre Eltern. Später gehörte sie der VVN-BdA an. Sie lebt heute als 82-Jährige in Schwerin in dem Bewusstsein, ein Leben gegen den Faschismus, der ein Verbrechen ist, mit ihren Eltern gestaltet zu haben.

Dr. Jakob Heinz, Schwerin

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