Rede zum Tag der Befreiung auf dem Platz der Opfer des Faschismus in Schwerin am 08. Mai 2015

8. Mai 2015

von Henning Foerster, MdL M-V, Die LINKE
(Das PDF enthält die Rede in deutscher Sprache und russischsprachiger Übersetzung)

Liebe Kameradinnen und Kameraden der VVN – BdA, sehr verehrte Gäste,

Am 8. Mai 1945, kapitulierte die Deutsche Wehrmacht nach 6 Jahren Krieg bedingungslos. Der 1939 entfesselte Krieg, dem 60 Millionen Menschen zum Opfer fielen war damit zumindest in Europa beendet.
Das Deutschland, in dem die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1933 an die Macht gewählt worden war, lag nun selbst zusammengebrochen und zerbombt am Boden, denn Hitler und seine Paladine hatten den Deutschen Endsieg oder Untergang verordnet.

Auch deshalb hatte der Krieg auch in seiner Endphase nichts von seinem Schrecken und seinem Fanatismus verloren. Allein die Schlacht um Berlin kostete noch 170.000 Soldaten das Leben, mehr als eine halbe Million wurden verwundet, zehntausende Zivilisten starben ebenfalls.
Bis zuletzt arbeitete die NS – Justiz auf Hochtouren und richtete Deserteure, Zweifler aber auch ganz normale Zivilisten hin. Ein Beispiel dafür ist der bestialische Mord an der Lehrerin Marianne Grunthal, die von der SS nur Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner in Schwerin wegen ihres Ausrufes „Gott sei Dank dann gibt es Frieden“ bei Bekanntwerden von Hitlers Tod an einer Laterne auf dem Bahnhofsvorplatz hingerichtet wurde.
Die Gegner der Nationalsozialisten sollten mit dem Regime gemeinsam untergehen. Viele, wie Ernst Thälmann, Georg Elser, Friedrich Bonhoeffer oder einige der Verschwörer des 20. Juli 1944 starben noch in den letzten Wochen und Monaten des Krieges. Von den insgesamt 11 Millionen Toten der Konzentrationslager starben Tausende auch hierzulande noch in den letzten Kriegstagen auf so genannten Todesmärschen.

Viele Deutsche machten nach der Rückkehr des Krieges auf das eigene Territorium Ende 1944 nun selbst die bittere Erfahrung von Tod, Flucht und Vertreibung.
Folglich waren ihre Empfindungen wohl höchst unterschiedlich. Befreiung oder Niederlage? Das Kriegsende warf Fragen nach Scheitern, nach Schuld und Vergeltung auf. Bundespräsident Richard von Weizsäcker umschrieb es in seiner berühmten Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung so:

„Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen.“

Der 8. Mai, der bislang nur in Mecklenburg – Vorpommern den Status eines landesweiten Gedenktages hat, sorgt dafür, dass diese Fragen Jahr für Jahr aufs Neue gestellt werden und das ist gut so.
In der DDR wurde der 8. Mai als Tag der Befreiung begangen und war zudem über viele Jahre ein offizieller und arbeitsfreier Feiertag. An diesem Tag wurde überall im Land der Opfer des Krieges und insbesondere auch der Opfer der Sowjetunion gedacht, die den höchsten Blutzoll im Kampf gegen Hitlerdeutschland zu zahlen hatte. Neuere Statistiken gehen von 27 Millionen Toten aus, von denen mehr als die Hälfte Zivilisten waren.

Die Ostfront war die Hauptfront des Krieges. Lange vor Eröffnung der Zweiten Front im Westen hatten sowjetische Soldaten den Feind vor Moskau gestoppt, in Stalingrad und im Kursker Bogen die Wende des Krieges erzwungen. Die Eröffnung der Zweiten Front durch die Westalliierten trug dazu bei, dass der Krieg schneller beendet werden konnte.

In der Bundesrepublik Deutschland mussten dagegen fast 20 Jahre vergehen, bis sich die politischen Botschaften veränderten. Erst Willy Brand bekannte sich mit dem Kniefall von Warschau 1970 dazu, dass er sich als Bundeskanzler eines befreiten und nicht eines besiegten Deutschlands verstehen will.
Der Krieg, den die Deutschen entfesselt hatten, sprengte die Grenzen jeglicher Vorstellungen. Er war von Anfang an verbunden mit der Vernichtung der europäischen Juden, der Roma und Sinti und der Unterdrückung der slawischen Völker als so genannte Untermenschen. Zudem sollten politisch und weltanschaulich Andersdenkende ausgeschaltet werden, Kommunisten, und Sozialdemokraten genauso wie Christen.

Über 18 Millionen Deutsche waren unter Waffen, über 7 Millionen 1943 Mitglied der NSDAP. Bevor Auschwitz errichtet wurde, waren bereits hunderttausende Männer, Frauen und Kinder durch die Einsatzgruppen hinter der Ostfront erschossen, ertränkt oder erschlagen worden. Ganze Gebiete der Sowjetunion wurden im Zuge der Politik der verbrannten Erde in Schutt und Asche gelegt. Deshalb bleibt es dabei, der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Die Worte von Bundespräsident Richard von Weizsäcker aus dem Jahre 1985 haben nichts an Aktualität verloren.

„Der 8. Mai hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. (…) Wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“

Liebe Kameradinnen und Kameraden der VVN – BdA, werte Gäste,

wir stehen hier und heute um an die Opfer des Krieges zu erinnern. Auf diesem Platz befand sich noch 1930 eine Grünanlage mit Rasenflächen, Liegewiese und einem Sandkasten für Kinder.
1935 wurden die vormals, gepflanzten „fremdländischen“ Koniferen auf Weisung des späteren Gauleiters Friedrich Hildebrandt durch Birken ersetzt. 1943 fanden die ersten Bestattungen statt. Bei den unbekannten Opfern soll es sich um sowjetische Zwangsarbeiter gehandelt haben, die vom Alten Friedhof hierher umgebettet wurden.
Am 2. Mai 1945 kamen amerikanische Truppen nach Schwerin. Sie hatten auf ihrem Weg das KZ Wöbbelin befreit und dafür gesorgt, dass am 8. Mai 1945 die Leichen von 74 Häftlingen hier unter Beteiligung der Bevölkerung beigesetzt wurden. Nachdem die Rote Armee am 1. Juli 1945 in Schwerin einmarschierte wurde dieser Platz ein Militärfriedhof. Am 14. November 1949 übergab Generalmajor Usow den Platz der Opfer des Faschismus an die Stadt Schwerin. 1967 endete die Bestattung sowjetischer Soldaten und 1978 wurde das Denkmal hinter uns aufgestellt. Seit 1953 wurden hier auch Verfolgte des Naziregimes mit ihren Ehepartnern bestattet.

Wir befinden uns also an einem historisch bedeutsamen Ort. Die Besonderheit dieses Ehrenfriedhofs gegenüber anderen besteht darin, dass hier heute die unterschiedlichsten Opfergruppen begraben liegen: KZ-Häftlinge, sowjetische Zivilisten, Angehörige der Roten Armee, nach 1945 verstorbene Verfolgte des Naziregimes und deren Ehepartner, umgebettete verdiente Sozialisten und das Grab von Kurt Bürger. Auf dem Friedhof sind insgesamt 1.504 Tote bestattet, davon sind 755 Kriegstote.

Die Toten mahnen uns, dass wir auch heute 70 Jahre nach dem Ende des verheerenden 2. Weltkrieges die Verpflichtung haben, jenen neuen Rechten entgegen zu treten, die nichts gelernt haben und sich erneut über andere, oft Schwächere erheben wollen.

Die Lehren des Zweiten Weltkrieges sind zudem leider hochaktuell. Das Erstarken nationalistischer, rassistischer und religiös-fundamentalistischer Ideologien und Bewegungen als Krisenreaktion unterschiedlicher Kräfte und deren zunehmende europäische Vernetzung sind besorgniserregend und begünstigen faschistoide Bewegungen. Wir haben es mit einem bedrohlichen Verfall antifaschistischer Einsichten und demokratisch-toleranter Ansätze zu tun, die sich in den Nachkriegsjahren in Ost und West mühsam durchgesetzt haben.
Deshalb braucht es zur Umsetzung der Forderung nach einem „Nie wieder“ jeden Tag aufs Neue unser Herz und unseren Verstand.

Vielen Dank dass Sie mir zugehört haben.

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